Über die Beherrschbarkeit von Prozessen

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Stellen Sie sich vor, Verunreinigungen bzw. Fehlermerkmale eines Bauteils oder Wirkstoffes führen zum Schaden für Patienten. Hatten Sie schon mal eine Reklamation? War ihr externer oder interner Kunde schon einmal unzufrieden mit der Produktqualität? Wenn ja, dann sollten Sie unbedingt weiterlesen…

Beherrschen Sie Ihre Prozesse? Kennen Sie den Einfluss Ihrer Produktionsumgebung auf die Produktqualität der produzierten Teile? Können Sie den Einfluss auch quantifizieren? Offensichtlich lassen sich diese pauschalen Fragen nicht einfach beantworten. Hierzu muss man sich zunächst darüber klar werden, was sich hinter dem Begriff „Produktionsumgebung“ verbirgt. Diese Frage ist jedoch keineswegs eindeutig zu beantworten. Neben Umgebungseinflüssen (Temperatur, Luftfeuchte, Partikel, usw.), Reinraumtechnik, Maschinenkonzepte, Anlagenparametern, Rohstoffen und der Qualitätsmerkmale von Zukaufteilen gibt es weitere Einflussfaktoren wie Anlaufzeiten, Bediener, Teilehandling bis hin zu Prüfmethoden, dem Zeitpunkt der Probenentnahme, usw. Die Liste lässt sich nun beliebig erweitern. Wie verhält sich jedes einzelne Qualitätsmerkmal Ihres Produktes, sollte sich auch nur eine dieser unzähligen Stellgrößen verändern? Ich möchte Sie an dieser Stelle keineswegs verunsichern, sondern vielmehr ermutigen. Glücklicherweise gibt es die 80/20 Regel oder das sogenannte Pareto-Prinzip. Dieses besagt, dass rund 80 % der Fehler durch 20 % der möglichen Fehlerquellen verursacht werden. Dieses Phänomen beruhigt nun, ist jedoch noch nicht so sehr greifbar respektive hinreichend konkret, als dass Sie es 1:1 auf Ihre Prozesse übertragen könnten. Der Einfluss, den die einzelnen Parameter auf die Produktqualität ausüben, muss prozessspezifisch quantifiziert werden. Da die Komplexität von Fertigungsprozessen stetig zunimmt und zugleich Bauteile und Funktionalitäten immer komplexer werden, ist an dieser Stelle eine Expertenmeinung ebenso wichtig wie eine fachlich sichere methodische Vorgehensweise. Besonders beim start-up komplexer Prozesstechniken funktioniert in der Praxis nur beides in Kombination, um auf einem möglichst effektiven und effizienten Niveau zu arbeiten. Ohne Expertenmeinung verliert man neben der wichtigen, bereits gesammelten Erfahrung auch das sogenannte „Fingerspitzengefühl“ für einen Prozess. Umgekehrt lässt sich das „Fingerspitzengefühl“ nur schwer in Zahlen-Daten-Fakten darstellen und daher geht die Glaubwürdigkeit und Akzeptanz in Folge gegen null. Wenn Sie hingegen Expertenmeinung einholen, um einen methodischen Fahrplan aufzubauen, können Sie das maximale Verständnis Ihres Prozesses erlangen und untersuchte Einflüsse quantifizieren. Die gesamte Prozesskette wird nun messbar und in Folge auch verständlich darstellbar. Die Qualität der Produkte lässt sich in Folge einerseits gezielt überwachen und andererseits bewusst steuern. Aus dem Ansatz der Beherrschung von Prozesstechnik und resultierenden Qualitäts-Absicherung ist im letzten Jahrhundert Six Sigma entstanden. Die Six Sigma Methodik hat den Anspruch, Qualität durch Beherrschung der Prozesse – nicht durch Ausschleusen von Ausschuss – zu gewährleisten. Neben einem methodischen Leitfaden haben Sie die Chance statistische Werkzeuge (z. B. Messsystemanalyse, Design of Experiments, Regression, Varianzanalyse) zu nutzen, um ein fundiertes Prozessverständnis zu erlangen und sich somit sicher zu sein, hochwertige Qualität liefern zu können. Dabei liegt der Fokus nicht „nur“ auf Anlagenparametern. Es können sämtliche Einflüsse aus der Produktionsumgebung betrachtet und methodisch untersucht werden. Erlauben Sie mir zu behaupten, dass der „AHA-Effekt“ bei Verbesserungsprojekten in der Regel sehr groß ist und selbst Experten manchmal zum Staunen bringt. In dieser Ausgabe der TechnoPharm wird auf diese und weitere interessante Themen genauer eingegangen. Ich wünsche Ihnen viel Spass beim Lesen der TechnoPharm sowie viele Ideen und interessante Diskussionen darüber im Nachhinein.

TechnoPharm 2012, Nr. 6, Seite 377